„Viele Unternehmen, die mit digitaler Transformation kämpfen, leiden unter verhärteten Strukturen!“
Interview der Allianz pro Fachkräfte mit Prof. Dr. Kathrin Möslein
Wir sind ja ein Hotspot für Innovation. Was macht die Metropolregion Nürnberg als Innovationsregion so besonders?
Hier ist eindeutig die Region der Erfinder und Innovatoren mit der höchsten Patentdichte Europas. Ich sehe tatsächlich den Erfindergeist, der in der Region herrscht, als absolut besonders an. Denn: Eine solche Dichte an Neugier, an Tüftlern, an Erfindern und das bereits historisch gewachsen seit langer, langer Zeit – aber eben auch immer noch – ist wirklich beeindruckend. Es geht ja niemandem darum, irgendwelchen Hypes hinterherzulaufen oder irgendetwas glanzvoll zu vermarkten, sondern man trifft überall wirklich Leute, die Interesse haben am Tüfteln, am Machen und am Innovieren. Und das ist, glaube ich, eine ganz starke Kraft und Basis. Ich würde sagen, das ist die große Stärke der Metropolregion. Dass sich das auch noch besser vermarkten ließe, ist eine andere Frage.
Was ist ihre Lieblingserfindung aus der Region
Meine Lieblingserfindung? Ja, die ist schon über 500 Jahre alt. Es ist die Taschenuhr von Peter Henlein – quasi der Vorgänger vom heutigen iPhone. Das ist ja früher nichts Anderes gewesen. Das iPhone hat jetzt auch wieder die Uhr in der Hosentasche versteckt, zwischendurch hatte man sie mal eine Zeit lang am Arm.
Sie haben Ihre Arbeit mal als „Innovationssensor“ beschrieben. Welche Innovationen erwarten uns und wie sehen neue, smarte Produkte aus? Wann ist ein Produkt überhaupt smart?
Wenn ich an smarte Produkte oder Services denke, dann habe ich sofort die Analogie zu einer wirklich coolen Forschungsinitiative zwischen FAU und Fraunhofer im Sinn – den„Campus der Sinne“. Dahinter steht die Vision, die menschlichen Sinne noch viel besser zu verstehen und sinnhafter technisch abzubilden. Die Grundlogik lautet, momentan ist alles noch gar nicht sonderlich smart, denn alles, was ein Roboter kann, ist sensorisch im Prinzip nicht viel mehr als das, was jedes Handy leistet. Dazu kommt nur die Aktorik. Aber sensorisch können Handy und Roboter irgendwie hören und sehen sowie sprechen und Bilder verschicken. Aber was ist mit riechen, ordentlich fühlen oder all den anderen Sinnen des Menschen? Fehlanzeige! Die ganze öffentliche Diskussion, die Welt um uns herum sei gar so intelligent und smart, dass sie Menschen ersetzen könne, ist doch ziemlich witzig. Man muss nur bedenken, dass so gut wie kein menschlicher Sinn bisher ordentlich abgebildet ist und schon gar nicht ihr Zusammenspiel. Das ist aber letztlich die Voraussetzung dafür, dass irgendetwas erst wirklich smart wird. Also momentan träumen wir mal wieder typische Technikphantasien, aber man kann das schon leicht auf den Boden der Tatsachen bringen und sagen: „Da fehlt schon noch ein bisserl was.“
Es geht also nicht um Rechnerleistung?
Die Diskussion ist doch in der Breite immer, die Technik werde den Menschen ablösen. Sei es, dass man wieder mal denkt, künstliche Intelligenz sei irgendwie intelligenter. Zu meiner Studienzeit war Künstliche Intelligenz ein Pflichtfach – das wurde dann mangels Erfolgs erstmal abgeschafft; jetzt wird es wieder schwungvoll eingeführt. Natürlich sind wir inzwischen auf einem ganz anderen Technikniveau, aber natürlich ist der Weg noch weit. Ehrlicherweise kenne ich keine Technologie, die irgendwas von den Dingen, die ich ungerne mache, schon kann. In den kommenden Jahren sind Forscher also wohl noch gut damit beschäftigt, erstmal Produkte wirklich smart zu machen.
Wie gehen Sie vor bei der Suche nach Innovationen? Entwickeln sich Innovationen entlang von Theorien oder ist Innovation eher etwas Ungesteuertes?
Beides nicht. Der Innovationsprozess ist ja etwas Etabliertes. Es gibt Innovationsmodelle und Innovationsprozesse; ich kann Schritt für Schritt Neues in die Welt setzen und Innovation heißt letztlich, Neues in die Welt zu bringen. Das kann Schritt für Schritt immer nur ein bisschen neu sein oder man kann einen großen Innovationssprung machen – es gibt also kontinuierliche Innovation und diskontinuierliche. Heute hat man manchmal den Eindruck, es muss plötzlich alles disruptiv sein. Das ist natürlich nicht so. Nun aber zu den Theorien: Innovationen entwickeln sich natürlich nicht entlang von Theorien. Sie lassen sich auch nicht von Theorien sagen, wie sie sich entwickeln sollen. Anders herum wird ein Schuh draus: Innovationstheorien beschreiben eine Sicht auf die Welt der Innovation. Sie versuchen zu beschreiben und zu erklären, wie Innovationen entstehen und welchen Nutzen sie stiften.
Würde man eine Region innovativ machen wollen, was müsste man tun?
Wenn man eine Region innovativ machen will, muss man erstmal überlegen: Wer sind die Innovationstreiber? Das sind die Menschen, denn die haben neue Ideen und Energie diese umzusetzen. Darauf kommt es an! Der Roboter in meinem Lehrstuhlteam hat deutlich weniger Ideen als meine Mitarbeiter. Vielleicht haben wir noch den falschen Roboter hier, aber auf ihn allein würden wir uns jedenfalls nicht verlassen. Wer Innovation voranbringen will, muss Menschen vernetzen. Nicht ohne Grund haben wir an der FAU den Leitspruch gewählt „Wissen in Bewegung“. An der FAU geht es an allen Ecken darum, Wissen in Bewegung zu bringen, in Bewegung zu halten, neues Wissen zu generieren und über die Grenzen von Organisationen weiterzuentwickeln und auszutauschen. So kommt das Neue in Gang und so wirkt die FAU seit 275 Jahren als Innovationstreiber für die Region und weit darüber hinaus.
Wem „gehören“ die Innovationen, die bei Open Innovation entstehen?
Nun, erstmal ist zu klären, was mit Open Innovation gemeint ist. Das Gefährliche an dem Begriff ist, dass viele denken, jetzt sei alles „open“. Daher klären wir mit den Studenten bereits im ersten Semester die zentralen Fragen der Open Innovation: Wo und wann bin ich als Innovator offen und wo und wann ganz bewusst nicht. Hier geht es um die richtige Balance. Wenn wir uns erfolgreiche und innovative Unternehmen ansehen, dann wissen die sehr genau, wo sie offen agieren und wo man Geschlossenheit zeigt. Wem dann im Innovationsprozess was „gehört“, ist eine spannende Frage, die wir in zahlreichen Lehrveranstaltungen diskutieren. Der Teufel steckt – wie so oft – im Detail.
Wie etabliert man eine Innovationskultur? Sind junge Leute per se innovativer?
Ganz sicher nicht. Dazu hatten wir auch schon eine Reihe von Forschungsprojekten. Eines hatte den Namen „Tandem“. Hier haben wir Tandems aus Alt und Jung geschaffen und festgestellt, dass weder alte noch junge Menschen innovativer sind. Es geht eher darum, Menschen mit unterschiedlichem Wissen und Erfahrungen zu vernetzen. Die Stärke entsteht durch den Brückenschlag. Im Zusammenspiel entsteht dann das Neue. In einem unserer Projekte ging es darum, in Unternehmen gezielt eine offene Innovationskultur zu entwickeln. Dazu haben wir mit Grenzinnovatoren gearbeitet, also mit Menschen die den Brückenschlag darstellen zwischen innen und außen, zwischen Arbeitswelt und Außenwelt. Das kann beispielsweise ein Lehrling sein, der zwar einen Vollzeit-Arbeitsvertrag hat (und damit eigentlich innen im Unternehmen ist), aber dessen Gedanken noch zum großen Teil um Themen außerhalb der Organisation kreisen. Aber auch Menschen direkt nach dem Renteneintritt sind tolle Grenzinnovatoren: mit dem Kopf weiter ganz im Unternehmen, obwohl vertraglich längst draußen. Auch Eltern in Elternzeit taugen perfekt als Grenzinnovatoren, denn sie sind oft hin- und hergerissen zwischen Innen und Außen. Bindet man diese drei Gruppen in Innovationsprojekte ein, so sieht man spannende Effekte und auch die Unternehmen lernen die Stärken ganz neu kennen. Das kann in Unternehmen dazu führen, dass beispielsweise Lehrlinge als Innovatoren mehr eingebunden werden, weil sie noch den offenen Außenblick haben und Neues ganz unvoreingenommen testen konnten. Kurzum: Das Konzept „Grenzinnovator“ hilft, Barrieren und Unternehmensgrenzen elegant zu überwinden und kann ein erster Schritt sein auf dem Weg zu erfolgreicher Open Innovation in etablierten Unternehmen.
Wie knackt man die Führungskräfte?
Es ist ja eigentlich nicht die Führungskraft, die geknackt werden muss; die Frage lautet doch vielmehr: Habe ich in allen Ecken meiner Organisation Menschen, die selbst Führung und Verantwortung übernehmen. Das ist eine Frage der Kultur, Verantwortung für Innovationen zu übernehmen. Die Führung oder die Mittelschicht einer Organisation immer als Lähm-Schicht zu verstehen, ist schon sehr vereinfachend und oft nicht fair. Denn beim Innovieren auch mal zu bremsen, kann auch sehr vernünftig sein.
In der Innovationsforschung gibt es eigentlich keine Literatur über diese Bremser, immer nur über die Innovatoren, Promotoren, Stars und Champions. Im Rahmen einer spannenden Doktorarbeit in unserer Forschergruppe ging es aber gerade um die Innovations-Opponenten. Es wurden ganz verschiedene Opponenten-Typen identifiziert mit dem Ergebnis: Die meisten Opponenten waren überaus konstruktive Opponenten. Die nörgeln zwar immer, sie nerven vielleicht auch, aber letztlich tragen sie dazu bei, dass man nochmal über die Innovation nachdenkt und diese nicht mit Schwung gegen die Wand fährt, sondern besser macht. Wenn Franken also beim Innovieren auch ab und zu mal bremsen, um nochmal scharf nachzudenken, dann kann das durchaus eine wertvolle Stärke sein.
Welche Kompetenzen benötigen wir in Zukunft? Wie lauten die Treiber für Innovationen?
Neugier. Das ist der Grundtreiber. Die zentrale Aufgabe an einer Universität ist es, Neugier zu wecken, am Leben zu erhalten und zu fördern. Forschergeist hat jeder in sich – den sollten wir nur einfach mal wieder zulassen.
Welche Relevanz werden die „Tugenden“ wie Fleiß, Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit haben?
Das sind sicher wertvolle Tugenden, aber diese Tugenden bringt jeder Roboter perfekt mit. Viel wichtiger sind Werte wie Integrität und Verbindlichkeit. An der FAU halten wir in Lehre und Forschung vor allem auch die Vielfalt und die Leidenschaft als Innovationstreiber hoch. Haben Sie diese Werte schon mal bei einem Roboter gesehen?
Wie lauten die ersten beiden Schritte zur digitalen Transformation?
Da zögere ich, denn es gibt kein Patentrezept. Ich möchte mir immer erst einmal das Unternehmen und seine Kultur anschauen und glaube nicht, dass es für digitale Transformation eine Standard-Lösung gibt. Man benötigt einen passgenauen Ansatz. Viele Unternehmen, die aktuell mit digitaler Transformation kämpfen, leiden unter verhärteten Strukturen, innerhalb derer man glaubt, perfekt sein zu müssen. Hier muss ein Kulturwandel ansetzen. Der aber funktioniert nicht auf Knopfdruck und man muss erstmal lernen, auch Fehler zuzulassen. Aus Fehlern lernen und das möglichst schnell, ist ein guter Startpunkt für Transformation – auch für die digitale!
Vollständiges Interview abrufbar unter:
Erschienen am 22.03.2018
Quelle: Allianz pro Fachkräfte – Metropolregion Nürnberg